Wiesbadener Sommerempfang
Mit Luther Politikern ins Gewissen geredet
Wenn er ruft, kommen fast alle. Jörn Dulige fing vor genau zwei Jahrzehnten damit an, den Garten seines Dienstsitzes in Wiesbaden vor der Sommerpause zur politischen Partyzone zu erklären. Seitdem gibt es alle zwei Jahre ein fröhliches Stelldichein von Hessens Who is Who aus Politik, Medien, Kirche und Gesellschaft am Sitz des Beauftragten der evangelischen Kirchen bei der Landesregierung. So war es auch am Dienstagabend. Trotz Sitzungsmarathon im Landtag, endlosen Ausschussterminen und dem Wahlkampf vor der Nase kamen unter anderem der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier, Landtagspräsident Norbert Kartmann oder SPD-Oppositionsführer Thorsten Schäfer-Gümbel vorbei. Auch der HR-Intendant Manfred Krupp wurde gesichtet. Und natürlich die Spitzen der Kirchen in Hessen mit Kirchenpräsident Volker Jung, dem rheinischen Präses Manfred Rekowski und Martin Hein, der Bischof der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck.
Reformatorischer Glaube befreit zu Fehlertoleranz
In seiner Begrüßungsrede im 500. Jahr der Reformation nutze der in diesem Jahr gastgebende kurhessische Bischof die Gelegenheit gleich dazu, den Politikern mit Martin Luther ordentlich ins Gewissen zu reden. So hat die Reformation nach Worten Martin Heins das Verhältnis von Glaube und Politik neu definiert. Leitend seien dabei die grundlegenden reformatorischen Begriffe „Gewissen“ und „Freiheit“ gewesen. Aus dem christlichen Glauben erwachse Verantwortung, die sich am Gewissen orientiere. Hier komme die reformatorische Erkenntnis zur Geltung: „Das Gewissen aber ist frei, wenn es fest auf den gnädigen Gott vertraut und frei ist von Angst.“ Zugleich ermögliche dieser Glaube, dass die Menschen fehlertolerant werden. Der Wahn hingegen, ständig perfekt sein zu müssen, mache die Menschen ungnädig gegenüber sich selbst und anderen. Das habe auch Folgen auf die Politik: „Ein ungnädiger Perfektionismus ist letztlich die Triebfeder schlechter Politik.“
Gemeinsame Aufgabe ist Stärkung des Wohls des Gemeinwesens
Das Vertrauen in den gnädigen Gott helfe den Menschen, sich um Wahrheit zu bemühen, Ambivalenzen zu ertragen und ihr Handeln an dem Wohl des Menschen auszurichten. Hein betonte: „In diesem Sinn ist christlicher Glaube politisch: Er sucht das Beste für Stadt und Land.“ Eine „genuin“ christliche Politik könne es nicht geben. „Aber es gibt Politikerinnen und Politiker, die sich am Evangelium orientieren. Dafür sind wir als Kirche sehr dankbar,“ hob Hein hervor. Die Reformation sei ein bleibender Impuls für Kirche und Welt: „ Es ist unsere gemeinsame Aufgabe: der Freiheit auf der Spur zu bleiben und das Wohl unseres Gemeinwesens zu stärken! Und wenn wir uns dabei angesichts des in Fahrt kommenden Wahlkampfs eine gewisse Fehlerfreundlichkeit zugestehen, wäre das ganz im Sinn Luthers.“