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1968

Wie die 68er-Bewegung die Kirche verändert hat

Auch Schüler gingen 1968 auf die Straße

Auch Schüler gingen 1968 auf die Straße

Frischer Wind kam vor 50 Jahren in die Evangelische Kirche. Die 68er Bewegung hat die ganze Gesellschaft deutlich verändert und auch die evangelische Kirche geprägt. In der EKHN stellten nicht nur die Gemeindemitglieder neue und andere Erwartungen an ihre Kirche. Auch Leitungspersonen und zahlreiche Pfarrerinnen und Pfarrer brachten neues Gedankengut in ihre Kirche. Wir sprachen mit Helga Trösken und Hermann Düringer.

Für Hermann Düringer, dem späteren Leiter der Evangelischen Akademie Arnoldshain, begann die weitweite Bewegung, die mit dem Jahr 1968 gekennzeichnet wird, bereits zwei Jahre früher, nämlich 1966, als er noch als Schüler in einem Seminar Günther Amend kennenlernte, einen der Köpfe der späteren Frankfurter Studentenbewegung. „Die Art und Weise Ansprüche zu stellen an eine freiere und menschlichere Gesellschaft, hat mich ergriffen,“ sagt der spätere Arnoldshainer Akademiedirektor.  Damals dämmerte die Frage auf, was da eigentlich im Keller der Geschichte unserer Eltern liege, dieser „bestimmte autoritäre Charakter der Gesellschaft“.

Der Zorn der jungen Generation

Der Umbruch kam für Düringer 1967, in dem Jahr, als der Student Benno Ohnesorg erschossen wurde und die Studentenunruhen begannen.  Protestanlässe waren damals der Vietnamkrieg, der ihn bereits als Schüler „enorm erregt“ habe oder die humanitäre Katastrophe in Biafra, wo etwa zwei Millionen Menschen, meist Kinder, verhungert seien, ohne dass die Weltgemeinschaft wirksam geholfen hätte. Die „himmelschreiende Ungerechtigkeit in der postkolonialen Situation“ vieler Länder in der neu gewonnenen Unabhängigkeit habe Millionen junger Leute in den USA und Europa erzürnt.

Die Autoritäten auf die Palme gebracht

Auch für Helga Trösken, die spätere Frankfurter Pröpstin, hat die 68er Bewegung bereits 1966 mit ersten „Sit ins“ angefangen: „Wir haben die Professoren in Mainz auf die Palme gebracht.“ Mitbestimmung hätten die jungen Theologiestudenten gefordert. Dasselbe geschah mit der Kirchensynode, als die „Außersynodale Opposition“ gegründet wurde. Trösken und anderen ist es immer wieder gelungen, die damals geheimen Papiere noch vor Beginn der Synodaltagung zu bekommen. „Wir haben uns gut vorbereitet und wussten Bescheid.“ Dann haben die jungen Leute aktiv in die jeweilige Tagesordnung eingegriffen und während der Synodaltagung Banner mit ihren Forderungen von der Besucherempore heruntergelassen.

Es sei keineswegs nur um Radau gegangen, sondern um Mitbestimmung, um die Idee einer demokratischen Kirche, sagt Helga Trösken heute. „Jede Demokratie braucht doch eine Opposition.“ Die EKHN sei schon damals in vielen Dingen weiter voran gewesen als andere Kirchen, allein schon weil sie weniger Hierarchie habe. 68 habe das weiter befördert. „Das war wichtig, dass wir damals auf totale Konfrontation gegangen sind.“ Und Trösken stellt fest, die EKHN habe „einen Virus in sich antiautoritär zu sein“.

Mitbestimmung ist in die Kirche eingezogen

Mitbestimmung gäbe es heute auf breiter Ebene. Konsultationen seien längst selbstverständlich. Als Beispiele nennt Helga Trösken die Veränderung des Grundartikels und die Neufassung der Lebensordnung, aber auch die breite Diskussion um die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare. Die starken Flügelkämpfe früherer Zeiten seien heute in der Kirche einem vernünftigem Diskurs gewichen, „was ich nicht so schlecht finde“. Die Bewegung habe mehr bewirkt, als es damals aussah. „Demokratie ist aber auch mühsam.“ Das habe sie später als Pröpstin selbst erlebt.

Die beiden Kirchenleute ziehen Bilanz

Die politischen Themen der 68er-Bewegung hat Helga Trösken „zum Glück nur von ferne mitgekriegt“. In der Frage der Gewalt sei, ob sie erlaubt sei oder nicht, sicher mehr Diskurs nötig gewesen. „Auch wie wir die Profs behandelt haben, das war oft nicht gerade sehr fair.“ Die „unfassbare Gewalt der RAF“, sei für sie „sehr weit weg“ gewesen, „weil ich aus dem pazifistischen Lager komme und vieles nicht verstanden habe“. Sie habe mehr den „langen Marsch durch die Institutionen“ befürwortet. Viele Jahre später hat Helga Trösken als Pfarrerin verurteilte RAF-Mitglieder im Gefängnis besucht. „Für die Biografie mancher Menschen war dieser Weg wichtig.“

Kritisch steht Hermann Düringer zum damaligen Umgang mit Gewalt: Dass manche sich der Roten Armee Fraktion (RAF) zugewendet haben, sei mehr als bedauerlich. „Dass aber die RAF im Rückblick die 68er Bewegung bestimmt, finde ich nicht angemessen.“ Die damals propagierte antiautoritäre Erziehung  nennt Düringer heute eine „Phase des Experimentierens“. Dazu zählt er auch Formen, „die übers Ziel hinausgeschossen sind“.  Die Auseinandersetzung mit der Elterngeneration sei teilweise überzeichnet gewesen, und da wo es um gesellschaftliche Umgangsformen ging, „geradezu falsch“.

„Diese Welt ist veränderbar“

Für Hermann Düringer war „68“ ein „ganz großer Aufbruch zu einer glaubwürdigen Kirche, die ernst macht mit den Ansprüchen des Evangeliums“. Die EKHN habe sich als eine Kirche erwiesen, die sehr offen war für einen Veränderungsprozess. Dankbar sei Düringer dafür, dass er in diesem Jahren studiert habe. Das Studium habe er als etwas unglaublich Lebendiges erlebt. „Studium und Inhalte gehörten mit dem Leben zusammen.“ Manchmal vermisse er die wunderbare Grundstimmung : „Diese Welt ist veränderbar“. 

 

 


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